
In Krisenzeiten wird der Ruf nach starker Führung laut. Ex-Kanzler Olaf Scholz kann ein Lied davon singen. Springer Professional sprach mit Georg Hartmann und Ulvi Aydin über militärische Kompetenzen und wie sie in schwierigen Situationen helfen.:devider:springerprofessionale.deIn Unternehmen und in der Managementliteratur wird viel über New Leadership und selbstbestimmte Teams diskutiert. Ans Militär denkt man dabei eher nicht als Vorbild. Inwiefern können Führungskräfte mit militärischem Background die Wirtschaft bereichern?Georg Hartmann: Tatsächlich wirkt das Militär für viele zunächst wie das Gegenteil von moderner Führung. Doch wer genauer hinsieht, erkennt, dass insbesondere das Konzept der Auftragstaktik der Bundeswehr - auch "Führen durch Auftrag" genannt - geradezu eine Blaupause für heutige Führungsmodelle in agilen, schnelllebigen Märkten ist.Ein Beispiel: Statt exakt vorzugeben, wie eine Brücke einzunehmen ist, gibt der deutsche Offizier nur das Ziel "Brücke bis 06:00 Uhr sichern" aus und überlässt die Entscheidung über das Wie dem Truppenführer vor Ort. Diese dezentrale Eigenverantwortung und das Vertrauen in die Kompetenz der unterstellten Ebenen ermöglichen schnelle und flexible Reaktionen - ein entscheidender Vorteil in komplexen Situationen. So wird Verantwortung dort angesiedelt, wo das Wissen liegt. Genau das wünschen sich auch moderne Unternehmen.Ulvi Aydin: Aus Unternehmersicht bedeutet das: Weniger Mikrosteuerung, mehr Vertrauen in Fachkompetenz, schnellere Entscheidungen und eine Organisation, die auf Initiative statt auf Anweisung basiert. Führungskräfte mit militärischem Hintergrund bringen Methodik und eine Haltung mit, die für volatile Märkte entscheidend ist. Insbesondere die Fähigkeit, unter Unsicherheit zu führen und gleichzeitig Orientierung zu geben. Man könnte sagen: Auftragstaktik ist Agilität, bevor es das Wort gab.
Ulvi Aydin (l) ist preisgekrönter Interim Manager, Beirat, Aufsichtsrat, Unternehmens- und Unternehmer-Entwickler sowie Buchautor. Georg Hartmann (r) war Offizier der Spezialkräfte der Bundeswehr und verfügt über mehr als 20 Jahre Einsatz- und Führungserfahrung.Das Militär steht für viele für einen autoritären Führungsstil. Das prägt auch die Art der Kommunikation. Ist diese noch zeitgemäß und in Unternehmen praktikabel?Georg Hartmann: Der Eindruck eines rein autoritären Führungsstils im Militär basiert oft auf Klischees, die einer differenzierten Betrachtung nicht standhalten. Moderne militärische Führung basiert nicht allein auf Befehl und Gehorsam, sondern auf Prinzipien wie Vertrauen, Eigenverantwortung und situativer Anpassung. Dass ein "Guten Morgen" in einem Unternehmen einem militärischen Gruß in der Kaserne gleichgesetzt wird, ist Ausdruck von Form, nicht von Zwang.Auch im Militär ist Kommunikation keine Einbahnstraße. In der Praxis folgt auf einen Befehl oft eine Rückmeldung, vornehmlich dann, wenn Kontext, Lage oder Fachwissen eine alternative Sichtweise nahelegen. Diese Form der Rückkopplung wird sogar aktiv eingefordert, sofern die Lage es erlaubt. Im Ergebnis unterscheidet sich ein Befehl in seinem Wesen kaum von einer klar formulierten Handlungsanweisung im zivilen Berufsalltag.Das Militär, wie ich es kenne, pflegt heute durchaus einen kooperativen, teils kollaborativen Führungsstil. Das ist kein Widerspruch zu moderner Führung, sondern Ausdruck von Professionalität.Ulvi Aydin: Auch in Unternehmen ist ein hybrider Führungsstil oftmals am praktikabelsten, einer, der klare Entscheidungswege mit offener Kommunikation, Anpassungsfähigkeit und Vertrauen kombiniert. Wenn Unternehmen zunehmend auf selbstorganisierte Teams setzen, gleichzeitig aber schnelle Reaktionsfähigkeit und operative Klarheit verlangen, dann könnte man sagen: Das Militär mit seinem differenzierten Führungsverständnis wäre unter Umständen näher an der wirtschaftlichen Realität, als es auf den ersten Blick scheint.Die Wirtschaft befindet sich im Dauerkrisenmodus und tut sich schwer damit umzugehen. Bei Kriegseinsätzen ist das die Regel. Gibt es militärische Vorgehensweisen, die die Wirtschaft adaptieren kann?Georg Hartmann: Ja, und viele dieser Prinzipien sind überraschend unternehmerisch. Im Kern geht es um die Fähigkeit, strukturiert unter Unsicherheit zu handeln. Drei militärisch inspirierte Prinzipien stechen heraus:Zielklarheit statt Detailsteuerung: Manager müssen wieder lernen, den Fokus auf das "Was" und "Warum" zu legen. Die operative Exzellenz liegt bei den Fachleuten - dort muss das Vertrauen hin.Verantwortung statt Kontrolle: Gerade in Krisen zeigt sich, ob Teams eigenständig agieren können. Wer Entscheidungsräume schafft, erntet schnellere Reaktionsfähigkeit und Innovation durch Praxisnähe.Regelmäßige Rückkopplung statt hektischer Kurswechsel: Die militärische Einsatznachbereitung, die Lessons Learned, ließe sich 1:1 auf Wirtschaftsprojekte übertragen. Wer schneller lernt, bleibt wettbewerbsfähig.Ulvi Aydin: Würden Unternehmen diese Prinzipien übernehmen, könnten sie anpassungs- und widerstandsfähiger werden. Statt jede Krise nur abzuwehren, könnten sie kontinuierlich auf Veränderungen reagieren und Innovationsprozesse beschleunigen.Wie muss man sich die konkrete Umsetzung vorstellen? Lassen sich militärische Prinzipien im Business eins zu eins übernehmen?Georg Hartmann: Militärische Prinzipien ließen sich sicherlich nicht eins zu eins übertragen. Das wäre weder zielführend noch kontextgerecht. Doch Grundprinzipien wie die Auftragstaktik könnten wertvolle Impulse liefern. Entscheidend wäre die Bereitschaft, echte Verantwortung zu delegieren, nicht nur formal, sondern mit Inhalt und Vertrauen, ohne die Kontrolle völlig aufzugeben. Es ginge um kluges Loslassen: klare Ziele, definierte Entscheidungsräume und regelmäßige Rückkopplung.Dafür muss die empfangende Person willens und fähig sein, Verantwortung tatsächlich zu übernehmen, auch dann, wenn der Handlungsrahmen unklar ist. Hier dürfte sich in der Praxis häufig die Spreu vom Weizen trennen. Der zentrale Hebel dafür liegt wahrscheinlich in der sozialen Kompetenz der Führungskräfte.Ulvi Aydin: Militärische Führung funktioniert unter hohem Druck, in kleinen Zeiteinheiten, mit maximalem Wirkungsanspruch. Diese Fähigkeit, komplexe Lagen zu erfassen und schnell Orientierung zu geben, ist in disruptiven Märkten Gold wert - vorausgesetzt, sie wird mit unternehmerischer Offenheit und Lernwille kombiniert.Nach allem, was Sie bislang gesagt haben, drängt sich die Frage auf: Sind ehemalige Soldaten daher die besseren Interim Manager beziehungsweise Führungskräfte?Georg Hartmann: Das lässt sich pauschal kaum sagen. Auch im Militär gibt es das gesamte Spektrum an Führungspersönlichkeiten. Die Uniform allein ist kein Nachweis für Führungsstärke. Eine militärische Führungskraft bringt jedoch oft ein Set an Eigenschaften mit, das in bestimmten Situationen überdurchschnittlich wertvoll ist: hereinkommen, schnell verstehen, entscheiden, umsetzen. Genau das trainieren militärische Führungskräfte im Einsatz, oft unter härteren Bedingungen und mit realer Verantwortung für Menschenleben.Besonders dort, wo Unternehmen in Schieflage geraten sind oder schneller Wandel nötig ist, können ehemalige Soldaten mit Führungserfahrung besonders wirksam sein: Sie bringen Struktur ins Chaos, Handlungsfähigkeit in die Lähmung und ein klares Führungsverständnis in unsichere Lagen. Voraussetzung dafür wäre jedoch Offenheit für zivilgesellschaftliche Unterschiede und ein echtes Maß an Lernbereitschaft. Nur so ließe sich militärische Führung erfolgreich in den Unternehmenskontext übertragen.
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