Den Finger in die Wunde legen!
Den Finger in die Wunde legen! Und bloß keine Buddys im Beirat!
Clarissa-Diana de Grancy im Gespräch mit Ulvi Aydin, preisgekrönter Premium Executive Interim Manager
Ulvi Aydin ist preisgekrönter Premium Executive Interim Manager (DDIM), Unternehmens- und Unternehmer-Entwickler, Beirat, XING-Insider, Speaker, Markenbotschafter und Buchautor. Als international agierender Interim-CEO und -CSO unterstützt er mittelständische Unternehmen und Konzerne bei Marken- und Marktentwicklung, Neu-Positionierung, Restrukturierung und Vertriebsexzellenz.
Ulvi Aydin ist Mitglied im IBWF – Institut & Beraternetzwerk qualifizierter Unternehmensberater, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, Rechtsanwälte und Notare für den Mittelstand, Mitglied im Berufsfachverband „Die KMU Berater-Bundesverband freier Berater e. V.“, zertifizierter BAFA Berater und zertifizierter „BERATER OFFENSIVE MITTELSTAND“. Außerdem ist er Mitglied im DDIM – Dachgesellschaft Deutsches Interim Management e. V. und Mitglied im ArMiD, Aufsichtsräte Mittelstand in Deutschland e. V.
Ulvi Aydin ist ebenfalls DEUTSCHE BÖRSE zertifizierter Aufsichtsrat. Über seine Erfahrungen als Interim-Manager schreibt er in diversen Wirtschaftsmedien (Wirtschaftswoche, SpringerProfessional, Transformations-Magazin, Controller Magazin, Harvard Business Manager etc.).
Seine Firma – die AYCON Management Consulting GmbH – ist spezialisiert auf Restrukturierung, Going-2-Market-Strategien, Stresstest der Marken-Strategie und Vakanzüberbrückungen. Das !AYCON-Motto lautet: Bist Du keine Marke, entscheidet Dein Preis über Deine Zukunft!
In diesem Interview sind Ulvi Aydin, preisgekrönter Premium Executive Interim Manager, und Clarissa-Diana de Grancy im Gespräch über Beiräte in Familienunternehmen und im Mittelstand.
Clarissa-Diana de Grancy
Im Wandel und in Krisen können Familienunternehmen vor allem an sich selbst scheitern – ein Indiz dafür ist die Wahl des Beirats bzw. dessen Orchestrierung. Entscheidend für eine gute und gewinnbringende Zusammenarbeit ist die Wertebasis, die das Beiratsteam eint. Auch Unabhängigkeit spielt eine Rolle.
Ulvi Aydin
Genau. Und beides ist nicht in KPIs messbar. Familienunternehmen bilden das Rückgrat der deutschen Wirtschaft. Das liegt vor allem an deren Bodenständigkeit und Beständigkeit. Familienunternehmen wollen unabhängig bleiben. Sie haben einen gesunden Lokalpatriotismus und stehen für Loyalität mit der Gemeinde sowie ein Wir-Gefühl im Unternehmen.
Das Familienerbe gesund der nächsten Generation zu übergeben, ist wichtiger als Umsatz- und Kapitalrendite. Dabei ist es egal, ob die Verantwortlichen mit Haftungsbeschränkung antreten oder ohne: Das Thema Verantwortung steht bei Familienunternehmern ganz oben. Das sind ideelle Werte und Zielsetzungen, die sich nicht in KPIs ausdrücken lassen – ein enormer Vorteil.
Clarissa-Diana de Grancy
Es kommt also auf das Feinstoffliche an und auf die intrinsische Motivation, die Familienunternehmerinnen und -unternehmer meist ohnehin auszeichnet. Worin bestehen die Engpässe, gibt es Nachteile?
Ulvi Aydin
Der Nachteil ist: Familienunternehmen haben oftmals einen Tunnelblick. Sie vermeiden Risiken – verschließen sich damit aber auch Chancen. Und das führt zu einem Tunnelblick der Geschäftsführer. Denn: Geschäftsführer, die erfolgreich in zweiter oder dritter Generation schalten und walten, sind die omnipräsente Galionsfigur – die Unfehlbaren.
Kritik gegen sie wirkt oft wie ein Loyalitätsbruch, ein Verrat. Wenn dann auch noch in der Familie alle nur brav mit dem Kopf nicken, schmort der Unternehmer nur noch in seinem eigenen Saft und bekommt nur noch das zu hören, was er hören will.
Clarissa-Diana de Grancy
Nicht ungefährlich …
Ulvi Aydin
Noch gefährlicher wird es aber bei der Zusammensetzung des Beirats. Ein Beirat hat oft keine Entscheidungs- oder Kontrollfunktion. Besonders, wenn es kein organschaftlich eingesetzter Beirat gem. Satzung ist. Aber selbst dann: Er hat eine beratende Funktion ohne wirtschaftliche oder emotionale Eigeninteressen am Unternehmen.
In meiner Arbeit als Consultant & Interim-Manager sehe ich aber oft das Gegenteil: der jahrelange Steuerberater, der langjährige Rechtsanwalt, mit dem man zur Schule gegangen ist, der Banker der Hausbank, der Buddy vom Golfen. Alle sind in einer Blase. Man kennt sich. Man tut sich oft nicht weh. Wie so viele Jahrzehnte in den Aufsichtsräten der „Deutschland AG“. Und auch heute noch oft.
Clarissa-Diana de Grancy
Ein bisschen mehr Vielfalt würde so manchem Board guttun. Viele Unternehmer haben das schon verstanden und achten auf den passenden Mix und darauf, auch streitbare Leute „an Board“ zu holen, die auch mal unbequem sein können.
Das setzt natürlich die Bereitschaft voraus, sich auch mal Gegenwind auszusetzen. Viele Gremienmitglieder sind zu harmoniebedürftig. Das ist genauso kontraproduktiv wie narzisstische Persönlichkeiten, vor denen alle Angst haben. Dabei heraus kommt ein Abnicker-Gremium.
Ulvi Aydin
Wer sich einen solchen Beirat schafft, kann das Unternehmen nicht weiterentwickeln. Ein Beirat darf doch nicht das widerspiegeln, was der Unternehmer hören will. Im Gegenteil!
Er muss der „Pain in the Ass“ sein, der sagt, was sich niemand anzusprechen traut. Er muss die monotone Ja-Sager-Kultur aufbrechen und die gepfefferte Prise Vielfalt in die Runde bringen.
Clarissa-Diana de Grancy
Wie sind Ihre persönlichen Gremienerfahrungen?
Ulvi Aydin
Ich selbst bin nur Beirat in Unternehmen, deren Geschäftsführer meine direkte, offene und brutal ehrliche Kommunikation akzeptieren. Auch wenn es unbequem ist. Auch wenn es schmerzhaft ist.
Als Beirat ist es mir vollkommen egal, ob der Geschäftsführer meine Anmerkungen gerne hört oder nicht. Ich bin hier, um die Probleme aufzuzeigen. Ob Missmanagement, unqualifizierte Mitarbeiter, schlechte Produkte oder schlechte Strategien.
Ein Beirat muss Lautsprecher sein und den Finger in die Wunde legen! Von einem Arzt erwarten Sie doch auch, dass er Sie nicht anlügt – sondern Ihnen Ihren wahren Gesundheitszustand mitteilt. Brutal ehrlich und schonungslos mit seinen Patienten spricht. Kein „Chichi“! Kein „Blabla“!
Clarissa-Diana de Grancy
„Wie hältst Du’s mit der Unabhängigkeit?“ – noch so eine Gretchenfrage … Als Interim-Manager, der von außen kommt und daher umso müheloser die Vogelperspektive einnehmen kann, sollte ein nüchterner Blick auf die Dinge besonders gut gelingen – anders, als wenn sich das eigene Wirken jahrelang auf ein und denselben Kosmos konzentriert, oder?
Ulvi Aydin
Interim-Manager haben keine Seilschaften im Unternehmen, sie lassen sich nicht von unterschiedlichen Interessengruppen oder internen Intrigen beeindrucken und wollen auch keine Karriere in der Organisation machen, keinen Firmenwagen fahren und auch kein Diensthandy besitzen.
Sie handeln immer im Sinne des Unternehmens – und nicht im Sinne irgendwelcher Freundschaften. Diese Haltung ist Gold wert für Gesellschafter und Geschäftsführer, denn sie bekommen immer die direkte Wahrheit vom Interim-Manager als Beirat vermittelt.
Clarissa-Diana de Grancy
Sind Beiräte die Lösung für Familienunternehmen?
Ulvi Aydin
Geschäftsführer tragen Verantwortung – manchmal zu viel Verantwortung, sagen Kritiker. Eine Lösung kann da ein Beirat sein, also ein freiwilliger Aufsichtsrat, der dann die Geschäftsführung unterstützt. Gerade in Familienunternehmen kommt diese Form zunehmend zum Einsatz. Die Aufgaben des Beirats können vielfältig sein.
Clarissa-Diana de Grancy
Welche Unternehmen wollen denn Ihrer Erfahrung nach überhaupt einen Beirat einsetzen?
Ulvi Aydin
In der Regel sind das mittelständische Unternehmen, oftmals Familienunternehmen, die Know-how von außen benötigen. Sie möchten also gerne aus ihrer Blase heraus, sie möchten sich „challengen“ lassen und neue Ideen, Impulse und Perspektiven bekommen. Dafür holen sie sich einen Beirat.
Diese Unternehmen sind zum Beispiel in einer Situation, in der es ihnen wirtschaftlich gut geht und sie sich auf die schlechten Zeiten vorbereiten wollen. Oder sie befinden sich in einem Generationenwechsel und benötigen Expertise und Begleitung von außen.
Clarissa-Diana de Grancy
Da gehören ja schon ein hohes Bewusstsein und eine selbstkritische Einstellung dazu, wenn Verantwortliche sich das wünschen. Gibt es auch Situationen, in denen das nicht so problemlos abläuft? Dass sich also Geschäftsführer auf den Schlips getreten fühlen, wenn Sie kommen?
Ulvi Aydin
Das kann vorkommen und da kann man theoretisch sagen: Das liegt in der DNA. Es gibt Leute, die keinen Input von außen wollen. Und es gibt Leute, die Input von außen begrüßen. Diejenigen, die es nicht wollen, möchten eigentlich keine große Veränderung haben.
Das ist auch eine Persönlichkeitsfrage, es ist nicht nur eine Frage des Unternehmens, sondern auch des Geschäftsführers. Aber es gibt auch viele Manager, die sagen: „Komm an mich ran, sag mir, was dir gefällt, sag mir, was dir auffällt, kritisiere mich, weil ich durch deine Kritik besser werde.“
Diese Hinweise kommen häufig auch von Gesellschaftern – und ein Beirat ist ja häufig für die Gesellschafter oder für die Geschäftsführung da – oder in einer Scharnierfunktion. Das ist eigentlich die beste Situation.
Clarissa-Diana de Grancy
Wie können denn Unternehmen einen Beirat finden?
Ulvi Aydin
Das Finden ist eigentlich der zweite Schritt. Der erste Schritt ist, sich darüber im Klaren zu sein: Will ich einen Beirat, weil ich besser werden will, weil ich Input von außen haben will? Hierzu gehört die Bereitschaft, diesen externen Input zuzulassen, ihn willkommen zu heißen. Und: Sich darüber klarzuwerden, was der Beirat für mich tun kann.
Habe ich einen Generationenwechsel, habe ich einen Gesellschafterwechsel, will ich das Unternehmen vielleicht mal verkaufen, will ich es vielleicht irgendwann mal an die Börse bringen, soll ein Beirat eine Vorstufe zum Aufsichtsrat sein? Wenn das sauber beantwortet ist, wenn die Wege und die Ziele klar sind, dann kommt die Frage: Wen brauche ich dazu?
Ich suche also nicht erst den Beirat, die Person, und sage dann, was ich will. Ich sollte immer zuerst klären, was ich als Unternehmer will. Und da begleite ich die Unternehmen, den Gesellschafterkreis. Manchmal sind das auch Banken, die auf mich zukommen und dann sagen:
„Aydin, kannst du uns bitte helfen, ein Beiratskonzept zu entwickeln?“ Und Teil des Konzeptes ist: Was will ich und wie will ich da hinkommen? Der zweite Schritt ist die Personalfrage.
Clarissa-Diana de Grancy
Wer initiiert das denn eigentlich? Gibt es auch die Situation, dass ein Geschäftsführer einen Beirat vor die Nase gesetzt bekommt, weil die Gesellschafter das sagen, aber der Geschäftsführer will eigentlich gar nicht?
Ulvi Aydin
Häufig kommt der Wunsch aus dem Gesellschafterkreis. Die Eigentümer haben eine Gesamtverantwortung für alle Stakeholder – das sind die Kunden, das sind die Lieferanten, das sind die Mitarbeiter und natürlich auch für die Geschäftsführung. Da gibt es also operative Dinge, die gemacht werden müssen. Und dann gibt es strategische Dinge.
Häufig kommt ein Eigentümer auf mich zu, ein Eigentümerkreis, ein Gesellschafterkreis, und fragt nach Unterstützung, Ideen dazu zu entwickeln. Ich komme nicht, wenn es schon heißt: Ja, wir wollen einen Beirat. Ich werde häufig schon vorher dazu geholt, um die Fragen zu klären: Was wären die Vorteile eines Beirates für das Unternehmen? Wie sollten wir das umsetzen?
Und diesen Weg erarbeiten wir in der Regel in einem Workshop. Der geht über verschiedene Tage, über verschiedene Monate. Und da werden auch viele Dinge klar, die vorher nicht klar waren. Und diese Klarheit herauszuarbeiten, ist eigentlich das Momentum.
Clarissa-Diana de Grancy
Also ist der Weg bis zur Entscheidung zum Beirat auch schon wichtig für die Integration. Lässt sich das auch gemeinsam mit den Geschäftsführern erarbeiten?
Ulvi Aydin
Absolut, die sollten unbedingt dabei sein. Medizinisch gesprochen: Zuerst kommt die Anamnese – was habe ich, was will ich, was will ich nicht, wo will ich in fünf Jahren stehen? Das heißt, der Gesellschafterkreis muss sich darüber im Klaren sein: Was wollen wir, wie wollen wir das?
Und dann gilt es in der zweiten Phase, den Geschäftsführer oder die Geschäftsführung reinzuholen und das Erarbeitete mit ihr oder ihm abzustimmen. Dann gibt es noch eine dritte Phase: die Mitarbeiter einbeziehen, denn auch die sollen erfahren, was für das Unternehmen beschlossen wird.
Clarissa-Diana de Grancy
Ich kenne ManagerInnen, die sagen: Nie wieder Familienunternehmen – da ist zu viel Familie involviert und Streit vorprogrammiert.
Ist so etwas ein Fall für einen Beirat, jemanden wie Sie?
Ulvi Aydin
Ja, natürlich kann das helfen. Denn letztendlich ist es ja so: Sie lassen ja nie die Persönlichkeit außen vor, wenn Sie irgendwo Geschäfte machen. Es gibt keine Unternehmensstrategie ohne Unternehmerstrategie.
Das heißt, ich muss Katalysator, Motivator, Coach und Lautsprecher sein, der Themen klar anspricht, Konflikte aufdeckt und dabei unterstützt, sie zu lösen. Die Unternehmer- oder die Unternehmendenstrategie muss also erst herausgearbeitet werden. Was wollen wir?
Wollen wir die Nachhaltigkeit in den Vordergrund stellen, die Profitabilität verbessern? Welche Ansprüche der Gesellschafter gibt es an die Gesellschaft im Sinne von Zukunftsfähigkeit, qualitative und quantitative Faktoren? Häufig sind das die Themen, die unausgesprochen zwischen den Zeilen stehen und zu Missverständnissen und Konflikten führen. Ich helfe dabei, diese Themen klar herauszuarbeiten und für alle transparent zu machen.
Clarissa-Diana de Grancy
Damit liegen jetzt viele Chancen auf der Hand. Worin liegen die Gefahren beim Einsetzen eines Beirats?
Ulvi Aydin
Kritisch ist es, wenn es von oben angeordnet wird und die Geschäftsführung den Beirat erdulden muss. Dann ist es die Aufgabe des Beirats, der Geschäftsführung zu vermitteln: Heiße doch die Zukunft willkommen. Nimm doch die Herausforderung als Chance wahr. Sei verliebt in das Gelingen und nicht in das Scheitern.
Gesellschafter und Geschäftsführung müssen in der Unternehmung kommunizieren, dass ein Beirat ein kraftvolles Instrument ist. Beiräte können Katalysator sein, Neutralisator von Problemen im besten Sinne.
Und jetzt stellen Sie sich vor, Sie als Unternehmen haben einen Beirat oder Sie geben sich einen Beirat und sagen das Ihren Mitarbeitern, Lieferanten und Kunden. Der Respekt und die Achtung in der Wahrnehmung dieser Stakeholder wachsen dadurch in der Regel. Die kommunikative Kraft ist sehr wirksam. Das Risiko liegt darin, wenn sich Beiräte mit Kleinigkeiten verzetteln oder Partei ergreifen.
Ein Beirat ist deswegen auch so sinnvoll und so klug, weil er eine neutrale Instanz ist. Er hat keine Partikularinteressen. Er kann also kritisch hinterfragen und die Strategien einem Stresstest unterwerfen.
Clarissa-Diana de Grancy
Der Beirat sollte so neutral wie möglich sein. Wobei es immer wieder vorkommt, dass Bekannte, alte Freunde oder Familienangehörige in den Beirat gewählt werden. Das ist nicht gerade neutral, oder?
Ulvi Aydin
Nein. Es kann immer jemand aus der Familie im Beirat sein. Es okay, wenn es dort einen Gesellschaftervertreter gibt. Ein Beirat hat in der Regel fünf Mitglieder. Eine Person sollte schon klar die Gesellschafter oder die Familie vertreten.
Aber dennoch sollte auch Diversität vorhanden sein, das heißt: keine Uniformität, sondern Leute auch aus verschiedenen Disziplinen, die um die Ecke denken. Nicht nur Juristen, sondern auch Soziologen, Philosophen, Literaturwissenschaftler etc. Menschen, die aus einer anderen Disziplin kommen und verschiedene Sichtweisen mitbringen.
Fünf alte weise Juristen haben in der Regel eine homogene Sichtweise auf die Dinge. Gendervielfalt, Herkunftsvielfalt, Altersvielfalt und Bildungsvielfalt machen einen starken Beirat aus.